Zeit und Symmetrie physikalischer Gesetze

Es gibt Themen, die mich immer wieder beschäftigen. Zeit ist solch ein Thema. Anfang Oktober 2010 schrieb ich einen Artikel, der sich mit verschiedenen physikalischen Vorgängen beschäftigte, die das Konzept Zeit enthalten.  Ende Oktober behandelte ich dann die Frage: Wie subjektiv ist die Zeit? In diesem Artikel ging es im Wesentlichen um Symmetrie. Ich bin aber bei der klassischen Physik stehen geblieben.

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Wege zur Physikalischen Erkenntnis

Diese erweiterte Neuauflage des Buchs „Wege zur physikalischen Erkenntnis“ enthält neben der wissenschaftlichen Selbstbiographie folgende Vorträge:

Die Einheit des physikalischen Weltbildes.
Die Stellung der neueren Physik zur mechanischen Naturanschauung.
Neue Bahnen der physikalischen Erkenntnis.
Dynamische und statistische Gesetzmäßigkeit.
Das Prinzip der kleinsten Wirkung.
Verhältnis der Theorien zueinander.
Das Wesen des Lichts.
Die Entstehung und weitere Entwicklung der Quantentheorie.
Kausalgesetz und Willensfreiheit.
Vom Relativen zum Absoluten.
Physikalische Gesetzlichkeit.
Das Weltbild der neuen Physik.
Positivismus und reale Außenwelt.
Wissenschaft und Glaube.
Die Kausalität in der Natur.
Ursprung und Auswirkung wissenschaftlicher Ideen.
Die Physik im Kampf um die Weltanschauung.
Vom Wesen der Willensfreiheit.
Religion und Naturwissenschaft.
Determinismus oder Indeterminismus.
Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft.
Scheinprobleme der Wissenschaft.
Wissenschaftliche Selbstbiographie.

Hier geht es weiter …


Physik ist die Suche nach Gleichartigem in der Natur. Nach Symmetrie. Exakte Gleichartigkeit physikalischer Vorgänge ist der Grund, warum sich etwas wie Zeit überhaupt definieren lässt, warum man Uhren bauen kann. Aber auf welche Art die Natur gleichmäßig ist, ist dann doch wieder überraschend.

Stecken wir zwei gleichartige Uhren jeweils in eine Kiste, so dass sie nichts von Ihrer Umwelt und vor allem nichts voneinander mitbekommen können, so werden sie im Rahmen ihrer Genauigkeit gleich gehen. Das liegt an der Symmetrie physikalischer Gesetze bezüglich Verschiebungen im Raum.

Verschiebungen in Raum und Zeit

Lassen Sie mich das erläutern: Symmetrisch ist ein geometrisches Objekt, wenn es bei einer Operation gleich bleibt. Beispiele für Operationen sind Spiegelung, Verschiebung oder Drehung. Ein gleichseitiges Dreieck ist symmetrisch bezüglich Drehungen um Vielfache von 120° und bezüglich Spiegelungen entlang der drei halbierenden Achsen. Ein Quadrat hat sogar acht solcher Achsen, ist bezüglich 90°-Drehungen symmetrisch und ist zusätzlich symmetrisch bezüglich einer Punktspiegelung am Mittelpunkt.

Die geometrische Definition von Symmetrie lässt sich auf physikalische Gesetze verallgemeinern. Danach ist ein Gesetz bezüglich Verschiebungen im Raum symmetrisch, wenn es vom Ort unabhängig überall gleich gilt. Wenn ich mein Labor um drei Meter nach Osten verschiebe, sollten alle Experimente gleich ablaufen. Bezüglich Verschiebungen in der Zeit ist ein Gesetz symmetrisch, wenn sie unabhängig vom Startzeitpunkt gleich ist. Wenn also ein Experiment heute wie morgen abläuft. Zu guter letzt können wir Symmetrien bezüglich Drehungen im Raum definieren, wenn ein Gesetz von der Richtung unabhängig ist. Oder bezüglich Spiegelungen in der Zeit, wenn ein Gesetz rückwärts wie vorwärts abläuft.

Zeit verläuft überall gleich

Zurück zur Zeit: Die oben genannten Uhren in den Kisten laufen synchron, also gleich, weil die ihnen zugrunde liegenden Gesetze symmetrisch bezüglich Verschiebungen im Raum sind. Das klingt zunächst wie ein Gesetz über den Raum, es ist aber vor allem eine Aussage zur Zeit: Die Zeit läuft überall gleich ab.

Eine weitere Eigenschaft der Zeit ist, dass sie aus ganz verschiedenartigen Prozessen extrahiert werden kann. In meinem Artikel Das Phänomen Zeit habe ich solche Prozesse beschrieben. Wir brauchen nur eine Variable in der Physik um sehr unterschiedliche Prozesse zu beschreiben und wir können mit jedem der genannten Prozesse eine Uhr bauen. Diese Uhren können miteinander synchronisiert werden.

Ich finde es bemerkenswert, dass sich jedes Geschehen im Universum mit einem Parameter Zeit beschreiben lässt, unabhängig vom physikalischen Prozess oder vom Ort des Geschehens. Nach Galileos Relativitätsprinzip kommt noch eine weitere Symmetrie hinzu: Physikalische Prozesse sollten auch vom Bewegungszustand  des Systems, in dem eine Prozess abläuft, unabhängig sein. Am einfachsten wäre das zu realisieren, wenn die Zeit unabhängig von der Geschwindigkeit immer gleich ginge.

Vom Widerspruch in der klassischen Physik…

Die Natur ist aber raffinierter. Physikalische Gesetze sind zwar unabhängig von der Geschwindigkeit, aber die Zeit ist es nicht. Von der Geschwindigkeit unabhängige Zeit führt zu einem Widerspruch zwischen Elektrodynamik und Mechanik:

Die Maxwell’schen Gesetze legen über gegenseitige Induktion von elektrischem und magnetischem Feld die Lichtgeschwindigkeit eindeutig fest. Sind nun diese Induktionen unabhängig vom Bewegungszustand des physikalischen Systems, in dem sie auftreten, so muss die Lichtgeschwindigkeit vom Bewegungszustand des Systems unabhängig sein. Mechanische Systeme werden durch Längen und Zeiten und damit definierten Geschwindigkeiten und Beschleunigungen definiert. Wenn nun Zeiten und Längen auch vom Bewegungszustand unabhängig sind, führt das direkt auf einen Widerspruch zur Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit vom Bewegungszustand, denn eine Geschwindigkeit ist (Weg-)Länge pro Zeit.

…zur Zeit in der Relativitätstheorie

Diesen Widerspruch löste Albert Einstein in seinem Aufsatz Zur Elektrodynamik bewegter Körper, indem er eine andere Symmetrie einführte: Anstelle gleicher Zeitläufe an jedem Ort, setzt Einsteins Relativitätstheorie auf die sogenannte Lorentz-Invarianz physikalischer Gesetzmäßigkeiten.

Anstelle eines konstanten Zeitablaufs überall postuliert die spezielle Relativitätstheorie eine komplexere Symmetrie: Physikalische Gesetze bleiben gleich, wenn Geschwindigkeiten durch eine Lorentz-Transformation ineinander überführt werden. Solch eine Lorentz-Transformation addiert nicht einfach eine Geschwindigkeit auf eine andere. Sie verlangsamt Zeit, verkürzt Abstände und ändert Gleichzeitigkeit. Das alles aber konzertiert für den gesamten Raum und die gesamte Zeit.

Für Geschwindigkeiten, die klein sind gegen die Lichtgeschwindigkeit, ist eine Lorentz-Transformation fast gleich einer einfachen Addition von Geschwindigkeiten. Deshalb glaubte man so lange an eine einfache Zeitsymmetrie. Aber so einfach ist das nicht. „Raffiniert ist der Herrgott, aber boshaft ist er nicht.“ 1

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