Mikroskope vs. Ameisen

Ich hatte Donnerstag anlässlich des Girls-Day die Gelegenheit, unseren Röntgenlaser einem Publikum aus 10- bis 14-Jährigen vorzustellen. Meine erste Aufgabe sah ich darin, den Schüler_innen zu veranschaulichen, Wie klein unsere Objekte überhaupt sind. Ich begann also mit einem Schaubild, das ich auf einer Website der University of North Carolina at Chapel Hill fand. Wir interessieren uns für Strukturen, die kleiner sind als Bakterien. Bakterien sind etwa tausend mal kleiner als Ameisen. Ameisen sind etwa tausend mal kleiner als Menschen. Damit scheint es evident: Wenn wir Ameisen sehen können, dann müssen Ameisen Bakterien sehen können.

Leider skaliert die Natur nicht so einfach. Gerade für die Sichtbarkeit gibt es eine gemeinsame Grenze: Die Wellenlänge des verwendeten Lichts. Die liegt für sichtbares Licht bei einem halben Mikrometer. Also einem zweitausendstel Millimeter. Kleinere Strukturen können wir nicht sehen und kleinere Strukturen können auch Ameisen nicht sehen. Heißt das also, dass das Sehvermögen unabhängig von der Größe ist? Nein, das Verhältnis ist genau umgekehrt. Wir brauchen größere Augen um kleineres zu sehen.

Entscheidend für die Fähigkeit, Kleines zu sehen, ist nicht nur die Wellenlänge, sondern auch der Winkel in dem Licht gesammelt wird. Die Faustformel für die mögliche Auflösung einer Optik ist: Halbe Wellenlänge geteilt durch Numerische Apertur. Die Numerische Apertur ist eine Zahl kleiner Eins und wird als Sinus des halben Öffnungswinkels definiert. Teilen durch eine Zahl kleiner Eins ergibt immer etwas größeres. Damit ist die Auflösung einer Optik immer gröber als die halbe Wellenlänge. Um die durch die Wellenlänge begrenzte maximale Auflösung zu erreichen, muss der Sinus des halben Öffnungswinkels Eins sein. Diesem Maximalwert entspricht 90 Grad. Die Optik müsste, um in alle Richtungen 90° abzudecken entweder das Objekt berühren oder unendlich groß sein. Praktisch ist beides nicht möglich.1 Wir brauchen also einen möglichst großen Winkel, möglichst dicht an 90°.

Es gibt zwei Möglichkeiten, Licht in einem möglichst großen Winkel zu sammeln:

  1. Nah rangehen
  2. Große Linsen verwenden

Viele Lichtmikroskope verwenden die erste Strategie. Wenn der Abstand der ersten Linse vom Objekt weniger als einen Millimeter beträgt, dann lässt sich eine sehr gute Apertur von 0,8 mit einer Linse von wenigen Millimetern Durchmesser erreichen.

Manchmal möchten wir uns aber raue oder gebogene Oberflächen ansehen, dann braucht es ein bisschen Abstand vom Objekt. Mit einem Arbeitsabstand von 34mm erreicht mein zur Zeit bevorzugtes Objektiv eine Numerische Apertur von 0,28 und kann so Strukturen um die 0,7 Mikrometer auflösen.

Auflösung vs. Vergrößerung

Mikroskopobjektive gibt es in Vergrößerungen zwischen 1-fach und 100-fach. Das Prinzip ist hier nicht „je größer desto besser“. Die Vergrößerung wird an die Aufgabe angepasst. Sie verbessert nie die Auflösung. Wenn das Objektiv nur eine Numerische Apertur von 0,2 hat, wird es auch nur etwa einen Mikrometer auflösen können. Egal ob die 1-fache Vergrößerung diesen Mikrometer erhält oder ob die 100-fache Vergrößerung ihn auf einen zehntel Millimeter ausdehnt. Ein stark vergrößertes Bild schwacher Auflösung wirkt verschwommen und zeigt keine zusätzlichen Details.

Die meisten Mikroskope benutzen heute Kameras um die Bilder aufzunehmen und an einem Bildschirm darzustellen. Am Bildschirm lassen sich die Bilder nochmal so groß darstellen, wie man möchte. Bildausschnitte können gezeigt und weiter vergrößert werden. Der Größe des dargestellten Bildes sind keine Grenzen gesetzt. Eine Grenze liegt aber in der Pixelgröße der Kamera. Wir verwenden Kameras mit zwischen 1 und 20µm großen Pixeln. Um die Auflösung nicht durch die Bildpunkte der Kamera zu begrenzen braucht es etwas mehr als zwei Pixel per Auflösung2. Bei einer Kamera mit 2µm großen Pixeln muss ein Bild also nicht viel mehr als 20-fach vergrößert zu werden um die maximale Auflösung zu erzeugen. Zu starke Vergrößerung verteilt das Licht nur auf zu viele Bildpunkte ohne ein klareres Abbild zu erzeugen.

Und dann ist das noch das Sichtfeld. Manchmal möchte man sich im Mikroskop einen Überblick über einige Millimeter Oberfläche verschaffen und ist dabei bereit auf Auflösung zu verzichten. Je stärker die Vergrößerung ist, desto kleiner ist der sichtbare Bereich.

Zurück zur Ameise: Kleinere Tiere können nicht unbedingt kleineres sehen. Im Gegenteil: Einem großen Auge fällt es leichter auch auf größere Distanzen die nötige Numerische Apertur zu bekommen. Ameisenaugen sind auch nicht für scharfe Bilder optimiert. Sie erkennen nur etwa 100 Bildpunkte und sind mehr an den Sonnenstand zur Navigation als an kleine Strukturen interessiert. Die Stärke von Insektenaugen liegt in der Schnelligkeit, nicht in der Bildqualität.

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